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			Geschwisterliches Miteinander 
			Von den gelobten Wahlverwandtschaften richtet 
			Familien-Menschenkind Margot Käßmann (61, zwei ältere Schwestern, 
			vier Töchter) den Blick deuterisch kompetent auf die angestammte 
			Herkunftsfamilie mit ihren Geschwisterreihen. Von den 
			alttestamentarischen Familien bis zu den nach-jesuanischen 
			Urchristen ist viel an Rivalität, Ergänzung und Solidarität zu 
			lesen. Locker erzählt, aber eindrücklich erfahren wir von Kains Neid 
			auf Abel, von der Arbeitsteilung im Hause Bethanien, von der 
			Verwunderung der Geschwister Jesu über die Exponiertheit des 
			Ältesten und von der Unantastbarkeit von „Bruder“ und „Onkel“ Paulus 
			in Rom. Dessen Patriarchalismus lässt Käßmann nicht stehen, sondern 
			setzt mit Aphia auf geschwisterliches Miteinander. 
			Margot 
			Käßmann: Geschwister der Bibel. Geschichten über Zwist und Liebe. 
			172 Seiten. Freiburg: Herder 2019. ISBN 978-3-451-81661-1. 16,00 € 
			 
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			in Wortsaat 86/2019 
              
			
			Mitspieler Kirche 
			
			Ulrich Lilies neues Buch „Unerhört! Vom Verlieren und Finden des 
			Zusammenhalts“ 
            Dünn sind die Bindekräfte in der Gesellschaft 
			geworden. Wutbürger und Wahlverweigerer sägen an ihr. Können Kirche 
			und Diakonie den Zusammenhalt wieder stärken? Jawohl, sagt 
			Diakonie-Präsident Ulrich Lilie in seinem neuen, bei Herder 
			erschienen, 174seitigen Buch „Unerhört!“. Darin handelt er – so der 
			Untertitel – „vom Verlieren und Finden des Zusammenhalts“. Er 
			plädiert für ein Anteil nehmendes Zuhören an den Problemen der 
			Mitmenschen und dafür, dass Kirche und Diakonie zu Mitspielern in 
			aufbauenden gesellschaftlichen Prozessen und heilenden 
			bürgerschaftlichen Initiativen werden. 
			 Von den Verstörten und Abgehängten 
			leiden zu viele daran, dass ihnen niemand zuhört, sie „unerhört“ 
			bleiben. Sie haben inmitten der allgemeinen Erregtheit über 
			Missstände keine Bedeutsamkeit. Sie mögen still und brav ihren Job 
			erledigen oder ihre oft dürftigen Sozialleistungen verzehren: 
			Aufmerksamkeit erfahren sie in der chattenden, talkenden und 
			erlebnishungrigen Welt nicht. „Die Kunst des Zuhörens droht in 
			Vergessenheit zu geraten“, stellt Lilie fest. Dabei sind 
			Argumentieren und Austausch in unseren Gemeinwesen der pluralen 
			Lebensentwürfe unabdingbar für allseits tragfähige Lösungen. Dazu 
			möchte Lilie unter der Obhut eines menschenfreundlichen Gottes 
			beitragen. 
			 Kein 
			Ohr für die Not 
			 Seinen gesellschaftsdiakonischen 
			Entwurf gliedert Lilie in zwei Teile. Im ersten Teil „Die unerhörte 
			Gesellschaft“ diagnostiziert er den Mangel an Aufmerksamkeit für die 
			Abgehängten bei den Verantwortlichen. Lilie selbst legt folglich 
			sein Ohr an die Äußerungen der Vergessenen. Begibt sich zu einem 
			Treffen der Nationalen Armutskonferenz, unternimmt mit 
			Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau einen Rundgang durch den 
			Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf und besucht das herunter 
			gekommene Wohnviertel Moers-Matteck bei Duisburg. 
			 Lilie stößt auf Unzufriedene, 
			Misstrauische, Überforderte, Verängstigte und Ausgeschlossene bis in 
			die Mittelschicht. Das eigene Leben der Aufgesuchten interessiert 
			ihre Mitwelt nicht, ist Lilies Fazit. Die Menschen auf der 
			Verlierer-Seite leiden unter Entwertungs-Erfahrungen. Sie retten 
			sich in eine reaktionäre Gegenmoderne mit Nationalismus und 
			Verschwörungstheorien. Sie kündigen ihre Beteiligung auf. Das ist 
			tödlich für Demokratie und Mitmenschlichkeit, so Lilies Folgerung. 
			 Ohne Abhilfe kommt es zu einer 
			„vergleichenden Abwertungslogik“: Die Frustration darüber, dass man 
			nichts ändern kann, wird in Aggression gegen andere umgeleitet. 
			Fremdenfeindliche Aktionen werden befürwortet. Einen Trost findet 
			Lilie darin, dass es auch unter den Enttäuschten immer noch Menschen 
			gibt, die gehört werden und reden wollen. 
			 Soziale 
			Teilhabe schaffen 
			 In seinem zweiten Kapitel „Zuhören, 
			bitte!“ ruft Lilie folglich dazu auf, die verständliche Empörung in 
			Gespräch und Mittun zu kanalisieren. Deshalb hat die Diakonie 
			Unerhört-Foren initiiert, um in Kommunen, Stadtteilen und 
			Landgebieten mit Initiatoren ins Gespräch zu kommen, 
			um damit soziale Teilhabe zu erzeugen. Als Modellfall für 
			gelingende Einbindung und für das Wieder-Dazu-Gehören sieht Lilie 
			die Nachbarschaft: Hier kann mit allen Altersgruppen und 
			Bevölkerungsteilen an inklusiven Lebensräumen gearbeitet werden. 
			Hier wird Selbstwirksamkeit erfahrbar und erfahren. 
			Lebensbereiche wie Wohnen, Gesundheit, Bildung, 
			Dienste, Lokalwirtschaft und Mobilität sind in agilen 
			Partnerschaften zusammen zu bringen. Hierbei kann sich auch Kirche 
			mit ihren personellen und räumlichen Ressourcen aktiv einbringen. 
			Kirche wird so zum Mitspieler in sozialen Initiativen. Beispielhaft 
			sieht Lilie die Modelle Soziale Stadt, bei denen sich 
			Kirchengemeinden beteiligen. Dieses aktivierende „Wir“ soll vor Ort 
			genauso nutzen wie im Weltmaßstab.  
			 
			 - in ESW-Wortsaat 85/Dezember 2018 
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