Zu einem vollen Erfolg mit gut 60 Teilnehmenden
wurde die Multiplika-toren-Tagung „Angst im Alter“ des Evangelischen
Seniorenforums ESF im ESW im Friedenshof in Kassel. In Referat und
Gruppengesprächen gingen die Beteiligten aktiv den Fragen nach, wie
Ängsten und Depressionen im Alter begegnet werden kann. Neben Mitgliedern
und Freunden des ESW beteiligten sich an der eintägigen Zusammenkunft
unter dem neuen ESF-Sprecher Pastor Matthias Ekelmann auch Fachkräfte aus
dem Alten-zentrum Eben-Ezer Gudensberg, dem Caritas-Bonifatius-Heim Kassel
und dem Stiftsheim Kassel. Der Austausch zwischen professionellen
Kräften und ESW-Ehrenamtlern erwies sich als glücklich und fruchtbringend.
ESW-Vorsitzender Mag. theol. Elimar Brandt lobte es
als eine „tolle Sache“, wenn Menschen unterschiedlicher Lebenserfahrung
sich träfen und austauschten. Sich schulen zu lassen halte den Kopf
lebendig. Er plädierte dafür, dass „Menschen ohne bezahlte Beschäftigung“
nicht beiseite geschoben würden, sondern sich im Dienst Jesu Christi
einbringen könnten. Als Beispiele nannte er die Mitarbeit bei Brot für die
Welt sowie das Seniorenforum ESF. Neue Aktivitäten würden überlegt.
Regelmäßig präsentiere man sich mit dem ESW auf den Kirchen- und
Seniorentagen. So habe im Sommer der „ESW-Raum der Stille“ mit Worten,
Karten und Plakaten den Besuchenden geholfen, sich in das Wesentliche
hinein zu finden.
Flucht
hilft nicht
In seiner biblischen Besinnung führte Brandt anhand
Elias’ Engelsbegegnung von den Worten 1. Könige 19 aus zum Tagungsthema.
Elia habe nach Triumphen und Niederlagen Wechselbäder der Gefühle
durchlebt. Solche innere Zerrissenheit durchlitten auch viele von uns. Das
Leben erscheint zerbrechlich. Auch gestandene Gotteskinder gerieten dann
in Anfechtung. Bei geglätteten Lebensentwürfen gelte es misstrauisch zu
sein. Aber die Flucht in Glätten und Verdrängen helfe nicht. „Gott holt
uns ein“, stellte Brandt fest. „Wir müssen auch weinen, klagen und
schlafen“, riet der ESW-Vorsitzende, um dann festzustellen: „Auch wenn wir
ganz tief liegen, passt Gottes Hand immer noch darunter“. So sei in der
Pflege die Berührung wichtig, und auch Sterbende empfinden das
Hand-Auflegen als wohltuend. „So kann jeder von uns zum Engel für andere
werden“. Wie Elia sich einst aufmachte, so kann auch jeder von uns
Aufgaben anpacken. „Lauft los, bleibt offen für Entdeckungen!“, rief
Brandt dem Forum zu.
Kampf oder
Nachsicht
In seinem Hauptreferat behandelte der Geriater und
Internist Prof. Dr. Werner Vogel, Hofgeismar, unter dem Titel „Fürchte
dich nicht: Und wenn die Angst trotzdem nagt?“ das Thema Angst aus
somatischer und psychologischer Sicht. Im Ruhestand noch aktiv zu sein,
verschaffe mit dem „Flow“ das Gegenteil von dem, was wir als Depression
erlebten. Angst habe mit Enge zu tun, was sich bei Infarkten und
Kreislaufbeschwerden zeigt. Oft sei Überlastung die Ursache. Das Leben
bestehe richtig aber aus einem Gleichgewicht zwischen Belastung und
Entlastung. Übertriebene Ängste äußerten sich als Angststörungen in
Phobien. Schlafen und Träumen könnten schon einmal „den Müll des Tages
wegräumen“. Auch in Psalmen würden Ängste ausgesprochen, aber die Tröstung
Gottes dagegen gestellt.
Angst helfe zwar, Gefahren
zu begegnen. Insofern „sind wir alle Angsthasen“. Ausschließlich Angst
helfe indes nicht mehr. Mitunter sei ein Tot-Stell-Reflex die richtige
Strategie. In anderen Situationen seien aber Flucht und Kampf angesagt.
Nachgeben wie Kämpfen seien indes ausschließlich falsch. Vielmehr sei es
richtig, je nach Situation zwischen Kampf und Nachsicht auszuwählen.
Heilungs-Ansätze
Stets dürfe man auf das
„Fürchte dich nicht!“ hoffen. Belastungen soll man mit Belohnungen
ausgleichen. Solche Belohnungen wie lustvolles Lernen, Essen, Musik,
Ästhetik, Bewegung, Stimmung und Motivation kommen über das limbische
System vom Gehirn aus dem Körper zugute. Hier bedürfe man auch der
Unterstützung durch Mitmenschen. Religiöse Bindungen helfen auch protektiv
sehr stark.
In den Heimen fühlten sich viele Bewohnerinnen und
Bewohner einsam, weil die Kontakte zu früheren Bezugspersonen abreißen.
Hilfen sind hier möglich durch das Miteinander der Generationen. Alte
Menschen können ohne Kontakte depressiv werden. Das resultiere auch aus
der Aufteilung der Lebenswelten in Alt und Jung. Diese Separierung riet
Dr. Vogel intergenerativ zu durchbrechen, indem man Kinder- und Altenhilfe
zusammen führe. Kindergruppen und Heimarbeit sollten folglich kooperieren
und Gemeinsames gestalten.
Leidvolles
Sterben lindern
Von palliativer Hilfe beim Sterben berichtete
Oberärztin Dr. Nina-Kristin Eulitz in einer der drei Arbeitsgruppen der
ESF-Tagung. Es besteht der Wunsch, möglichst wenig körperliches Leid beim
Sterben zu empfinden. Gegen Schmerz, Luftnot und Erbrechen gebe es
Abhilfen. „Das körperliche Sterben ist eine Herausforderung wie auch die
Geburt eines Menschen. Es ist aber überall erträglich zu halten. Wichtig
ist es, dass die Sterbenden und das soziale Umfeld zuvor darüber
sprechen“, sagte die am Rot-Kreuz-Krankenhaus Kassel tätige Medizinerin.
In Voraus-Verfügungen sollten die Vorstellungen für die Behandlungen am
Lebensende festgehalten werden und auffindbar handhabbar sein. Hilfreich
seien aus dem Internet herunter ladbare Textbausteine. An die
Patientenverfügungen seien auch die behandelnden Ärzte gebunden.
Die Palliativmedizin habe
die Sterbenden und ihre Bezugspersonen im Blick. Denn körperliches
Befinden und die soziale wie spirituelle Befindlichkeit beeinflussten sich
wechselseitig. So würden beim Sterbebeistand neben Ärzten und
Pflegekräften auch soziale Dienste benötigt. „Das, was wir im Leben nicht
mehr aufräumen, ist auch im Sterben nicht vorbei“, stellte die Oberärztin
fest.
Ambulante
Palliativ-Teams
Da der Palliativmedizin am Rot-Kreuz-Krankenhaus
auch ambulante Teams angegliedert sind, schilderte die Referentin auch
deren Arbeit. Wichtig sei, dass alle beim Sterben zuhause helfenden
Personen bis in die Medikation und den Zugang zu Hilfsdiensten gut
vorbereitet und eingeübt seien. Die ambulanten Hilfen durch das
Palliativ-Team werden vom Arzt verordnet, vom Arzt im Krankenhaus für
sieben Tage im Voraus. In Nordhessen bestehe ein geschlossenes Netz von
ambulanten Hospiz-Teams. Zur Stabilisierung der Begleitung komme auch eine
vorübergehende stationäre Kurzzeit-Behandlung in Betracht, nach der die
Sterbenden aber wieder mit Verordnungen und Empfehlungen in ihr häusliches
Umfeld zurück entlassen würden.
Auftrieb
für Depressive
Seniorenpfarrer Dr. Jürgen Wolf aus Kassel leitete
unter dem Thema „Was gibt mir Auftrieb?“ eine Gesprächsgruppe zur
Seelsorge und Begleitung depressiver Senioren. Depression bezeichnete er
als eine Krankheit, die jeden treffen könne, Integrierte wie Einsame,
Glückliche wie Unglückliche. Man müsse genetische und somatische Ursachen
ineinander sehen. Dankbar könne man sein, wenn man davor bewahrt werde.
Gott könne seine Wirkkraft aber auch an den von dieser Krankheit
Befallenen zeigen. Die Bibel zeige viele klagende Menschen, die nicht mehr
weiter wussten. Helfen könne das Lesen eines Psalms wie „Aus der Tiefe
rufe ich, Herr, zu dir“.
Während viele Christen
fröhlich und dankbar sein können, sind Depressive dazu oft nicht in der
Lage. Mitchristen sind aufgerufen, diese Erkrankten aufzubauen, Zeit für
sie zu haben, ihre Hand zu halten. Beim Besuch kann das Anknüpfen an
Fotos, an Texten oder an umher liegenden CD’s hilfreich sein.
Stimmungsaufhellend können Fragen und Deutungen zu solchen Bildern und
Objekten sein. Bei negativer Lebensbilanz durch Depressive kann diese
relativiert werden durch Hinweise auf das vom Erkrankten dennoch
Erreichte. Neben solchen Zuwendungshilfen benötigen Depressive aber auch
somatisch-medikamentöse Stützung. Ein wichtiger Beistand besteht darin,
sie zum Arzt zu begleiten.
Pferdefuß
Psychotherapie
Ältere Patienten streiten
ihre Depressionen oft ab und verdrängen sie, weil sie ein Unwerturteil
über sich fürchten. Dies sind larvierte Depressionen. Jüngere nehmen
Depressionen eher als existent an und versuchen, sie anzugehen. Der
Verweis auf professionelle, psychotherapeutische Hilfe und deren Abruf
macht bei Älteren oftmals Schwierigkeiten, weil die Krankenkassen
Erfolglosigkeit und Nicht-Verbalisierungsfähigkeit der Erkrankten wähnen.
Dem ist mit dem grundsätzlichen Rechtsanspruch auf psychotherapeutische
Hilfe entgegen zu treten, wenn das Behandlungssystem auch nicht überall
darauf vorbereitet ist.
Auch religiöse Inhalte und Praktiken können bei
Depressiven aufbauend wirken und die Resilienz der Erkrankten stärken.
Starke
Mütter
Mit den ins Alter hinein
wirkenden Einflüssen von Krieg, Flucht und Schrecken im Zusammenhang mit
dem Zweiten Weltkrieg beschäftigte sich unter Leitung von Prof. Dr.
Hartmut Radebold die Arbeitsgruppe, die sich unter dem Titel „Die Schatten
der Vergangenheit“ zusammen fand. Die im Weltkrieg psychisch Verletzten
blieben lange traumatisiert, weil ihre Erlebnisse nicht aufgearbeitet
wurden. Männer konnten nicht weinen. Die Frauen waren überlastet, die
Kinder entbehrten oftmals vor allem die Väter. Die Töchter erlebten das
Bild der Mutter entweder als schwach und krank, oder aber als besonders
stark nach dem Motto „Männer braucht man nicht, ich komme auch alleine
zurecht“.
Viele Mütter hatten so die
Doppelbelastung als Mutter und Vater auszuhalten.
Auf die Frage, ob alte, an den NS-Taten einst
beteiligte Männer Stolz oder Scham darüber empfinden, fand die Gruppe
keine eindeutige Antwort. Millionen Erfahrungen lassen sich nicht
pauschalisieren, stellte Prof. Dr. Radebold fest. Es gilt, diese Menschen
anzuhören, was sie darüber heute zu sagen haben. Gegen Stolz auf die
Kriegtaten soll man vom Heim aus angehen. Das Team eines Heims sollte
seine eigene Einstellung zur NS-Zeit finden. In vielen Heimen sind im
Personal aus Osteuropa stammende Kräfte vertreten, deren Herkunftsgebiete
in den Weltkrieg involviert gewesen waren. Auch darum sind Positionen
gegen die Glorifizierung oder Entschuldigung der Untaten wesentlich.
Ein Bericht von Kurt Witterstätter
Blick in die ESF-Tagung in Kassel: In der ersten
Reihe (von links): ESW-Vorsitzender Elimar Brandt, Hauptreferent Prof. Dr.
Werner Vogel, Tagungsleiter Matthias Ekelmann
Foto: Kurt Witterstätter
|