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Alte Menschen: Hoffnung statt Furcht
Die ESW-Jahrestagung 2008 in Hofgeismar miterlebt von Dr. Karl Dieterich Pfisterer
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Worte wie demografischer Wandel gehören mittlerweile zu jenen Schlüsselworten unserer öffentlichen Debatten, die negative Assoziationen, Krisenszenarien und begründete Befürchtungen über den Zusammenhalt unserer Gesellschaft herauf beschwören. Erfrischend und ermutigend war deshalb, dass das Evangelische Seniorenwerk ESW nicht in einen vielstimmigen Klagechor einstimmte, sondern eine andere Melodie intonierte, die sich noch mehr Gehör verschaffen muss: Senioren selbst können dazu beitragen, dem demografischen Wandel eine zukunftsweisende Richtung zu geben. Was für eine Bestätigung der Überzeugungen und Ziele der Gründer des Evangelischen Seniorenwerkes in ihrem. Jubiläumsjahr! Vor fünfzehn Jahren bereits hatten sich Frauen und Männer mit der Überzeugung und dem Ziel zusammen gefunden, „dass ältere Menschen auf Grund ihres Wissens und ihrer Erfahrung“ sehr wohl „mitreden, mitentscheiden und mitverantworten“ können. Sie sind mitnichten darauf angewiesen, dass andere für sie reden und handeln und festlegen, was ihnen Not tut. Und was noch schöner ist: Sie machen nicht nur den Mund auf, sie nehmen ihre Sache selbst in die Hand und sie legen jetzt auch selbst Hand an! Als unmittelbar Betroffene mischen sie sich selbst ein mit ihren Anliegen!.
Jubiläum und Hoffnung
Auf seiner .Jahrestagung in der Evangelischen Akademie Hofgeismar vom 9. bis 12. September 2008 bot das ESW Referenten aus Kirche und Diakonie eine Plattform, auf der sie angesichts der unbestreitbaren Herausforderungen des demografischen Wandels auf seine Chancen abhoben und Umrisse einer gangbaren Vision entwickelten. Bis jetzt weitgehend unbemerkt von der Gesamtgesellschaft und auch von vielen Senioren „sind schon heute die alten Menschen, die sich helfend für andere einsetzen in den Familien, in der Nachbarschaft, in organisierten Hilfeformen die größte Ressource unserer Gesellschaft“. Eine Feststellung, die offenbar wörtlich zu nehmen ist: Die Zahl der Alten wächst und mit ihnen die Hilfe für Gleichaltrige! Studien zeigen, dass seit einigen Jahren deutlich mehr Frauen und Männer über 60 Jahren zur Hilfe bereit und auch fähig sind!
Um dieses kreative Potenzial des Alters im gesellschaftlichen Bewusstsein zu verankern, stellt einer der Referenten Prälat Schmidt - den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Jahrestagung die neugegründete Stiftung Pro Alter vor, die unter anderem in einer umfassenden Untersuchung belegen wird, wie viele Initiativen es bereits in der Bundesrepublik gibt, in der alte Menschen alten Menschen helfen. Prälat Rudolf Schmidt aus Hofgeismar, selbst im Ruhestand, und in Diakonie und Kirche gleichermaßen zuhause, geht davon aus, dass in Zukunft weder die Familie, noch die professionellen Helferinnen und Helfer oder die Pflegeversicherung die weiter wachsenden Herausforderungen alleine schultern können, sondern dass die weiter zunehmenden Initiativen eines „hilfreichen Alters“ die Chancen entscheidend verbessern werden, den Herausforderungen des demografischen Wandels zu begegnen. Was für eine Leistung und was für ein Erfolg! Diese beiden Erfahrungen geben 51 Prozent der Rentner und Pensionäre an, wenn sie ihre Vorstellung und ihr Gefühl von Glück beschreiben (laut Umfrage der Bertelsmann-Stiftung 2008).
Beleg für die Vision
Die beiden anderen Hauptvorträge der Jahrestagung warteten durchweg mit Hinweisen auf gelingende Beispiele auf , die diese von Rudolf Schmidt entworfene Vision konkretisierten. Im Vortrag von Pfarrerin Roswitha Kottnik vom Diakonischen Werk der EKD in Berlin zum Thema „Alter in der Sozialpolitik“ begegneten sie immer wieder als „Leuchttürme“ in ihrem Überblick über die sozialpolitischen Ausein-andersetzungen der Gegenwart. Bischof Prof. Dr. Martin Hein von der gastgebenden evangelischen Kirche in Kurhessen-Waldeck entwarf eine konkrete Strategie, wie eine älter werdende „Silberne Kirche“ diese Entwicklung positiv aufnehmen kann, dabei aber gerade in den bevölkerungsärmer werdenden ländlichen Gegenden die Kirche wortwörtlich „im Dorf“ lässt und zum Kristallisationspunkt verschiedener Dienstleistungen macht, wenn die Jüngeren aus diesen Regionen der Arbeit nach in die Stadtregionen ziehen und Infrastrukturen abgebaut werden müssen.
In Herausforderungen Chancen zu entdecken, weil alte Menschen mit ihren Möglichkeiten an Wissen, Erfahrung und Fantasie ernst genommen werden, und dafür immer wieder Mittel und Wege zu finden, das hat diese Jubiläumstagung des ESW auf eine hoffnungsvolle Weise bestimmt und bewegt. Durch gesetzlich festgelegte Ruhestandsgrenzen lässt man sich immer wieder den Blick dafür verstellen, dass solche „Ruhe“ immer wieder neue Kräfte entbindet. Ruhestandsgrenzen sind eben nicht zu verwechseln mit dem Verfallsdatum auf bestimmten Gebrauchgütern des täglichen Bedarfs!
Aus lebendiger Tradition innovativ
Das Evangelische Seniorenwerk wurde vor 15 Jahren in einer Zeit gegründet ,als Frauen und Männer mit einer Vision der Sterbebegleitung in vielen Hospiz-Initiativen aktiv wurden und so zunahmen, dass eine Bewegung daraus wurde. Diese sinnorientierte Begleitung Sterbender und ihre segensreichen Wirkungen haben das Bewusstsein unserer Gesellschaft verändert und am Ende dadurch doch noch eine zögerliche, ja abweisende Sozialpolitik ins Boot geholt. Damals wie heute hatten die Menschen eine Vision und boten eine gangbare Alternative! Unter den Mitgliedern des Evangelischen Seniorenwerkes im landschaftlich reizvollen Hofgeismar waren nicht wenige, die auch in der Hospizarbeit tätig sind ,und die jetzt auch alten Menschen helfen und hilfreich sein können.
Botschaft von Hofgeismar
Das könnte in der Tat eine Botschaft von der Jubiläumstagung in Hofgeismar sein: So wie die Vision der Sterbebegleitung der Hospizbewegung Sterbenden neue Hoffnung gegeben, sie vielmehr nicht weiter ausgegrenzt hat, so kann die Vision des „hilfreichen Alters“ unsere Befürchtungen im Blick auf den demografischen Wandel verändern. Bibelarbeiten, Tanz, Musik, sowie Stellungnahmen zu dem altersdiskriminierenden Servicezuschlag der Deutschen Bahn und willkürlichen Ruhestandsgrenzen taten das ihre, dass die Vision wach blieb, der Geist rege und der Leib beweglich!
Migranten und Märchen
Ein Tagesausflug von Hofgeismar an die Weser wurde zu einer bildenden und unterhaltsamen, spätsommerlichen Studienreise, die in Begegnung etwa mit der Geschichte der Hugenotten als religiösen Flüchtlingen und Migranten klar machte, dass Fortschritt und Fremdenfeindlichkeit schon immer ein Rolle spielten. Und so wie heute, so auch damals: Der Hafen zwar wurde fertig, nicht aber der Kanal, der von dort die Weser mit dem Hinterland verbinden und es erschließen sollte: Man hatte sich zuviel vorgenommen! Und doch, als wir am Abend durch eine Märchenerzählerin gekonnt vorgetragen den Märchen lauschten, die die Brüder Grimm in dieser Gegend gesammelt hatten, waren die Hugenotten gar nicht so weit weg.
Dr. K. Dieterich Pfisterer
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